Das Stöckchen am anderen Ende der Welt..

Dieses Mal flog ich ja mit so einigen Fragezeichen nach Brasilien. Politische Situation, Sicherheit- ist ja alles gerade nicht so rosig was man so hört. Die Abholzungen im Amazonas sind angeblich seit Amtsantritt von Bolsonaro um 88% angestiegen. Also in nicht mal einem Jahr. Vorher waren sie innerhalb von 12 Jahren um 70% gesenkt worden, was Anlass zur verhaltenen Freude gab.

 

Würde mich ein verändertes Land empfangen? Hm, was meinen Erlebnishorizont betrifft kann ich zumindest bisher sagen „nein“. Hier im Pantanal liegen zum Beispiel die Stöcke, die ich vor Jahren zurecht geschnitten habe um meine Kamerafallen in die richtige Position zu bringen, nach wie vor an den Stellen, an denen ich sie im letzten Jahr zurück gelassen habe um die Kamera im kommenden Jahr genauso, an derselben Stelle wieder aufhängen zu können. Das ist wichtig für meine Studie. Also schlage ich mich 9 Monate lang durch den deutschen Großstadtdschungel (und der hatte in diesem Jahr ja so einige Turbulenzen zu bieten), fliege ein paar Stunden, renne wie ein Idiot durch Flughäfen, fahre mit dem Pick up raus, schlage mich nochmal mehrere hundert Meter durchs brasilianische Dornengestrüpp, feiere meine fantastische neue Machete und reiße mir dabei das erste Loch der Saison in die neue Hose, fange mir die ersten Zecken ein und dann, irgendwo in diesem Wald am Ende der Welt, wartet am Fuße eines Baumes geduldig ein kleiner Stock , den ich vor vielleicht vier Jahren mal mit der Machete auf die richtige Länge gestutzt habe. Vermutlich könnte die Apokalypse abgehen und meine Stöckchen lägen immer noch da. Manchmal bin ich ganz gerührt, wenn ich sie wiederfinde. Eine Konstante, genau wie die Angestellten im Casa do Pão de Queso, die vermutlich auch nach dem Weltuntergang  immer noch ihre unverwechselbare „Attitude“ oder wie man das auch immer nennen möchte, an den Tag legen würden. Als ich am Flughafen in Rio mein traditionelles Pão de Queso mit Cafezinho nach meiner Einreise in Brasilien im Casa do Pão de Queso bestelle, schlurft mir die Bedienung jedenfalls mit dem unverwechselbaren Flunsch und den schweren Augenliedern entgegen, die in dieser Plakativität ausschließlich bei Angestellten dieses Etablissements bewundert werden darf. Ich frage mich wie immer ob es Schulungen dafür gibt, und ob die Charaktereigenschaft Desinteresse und hinreichende Abscheu vor dem Kunden ein wichtiger Einstellungsfaktor im Casa do Pão de Queso Assessment Center darstellt. Bei mir persönlich löst das Verhalten eine Achterbahn der Gefühle aus- ein bisschen Ärger, ein bisschen Staunen, dass Menschen trotzdem bei dem Laden einkaufen, und ein bisschen von dieser Rührung wie ich sie empfinde, wenn ich meine Stöckchen im Wald nach einem Jahr wiederfinde. Ich mag halt Traditionen.

 

Aber natürlich hat sich im letzten Jahr auch ein bisschen was merklich verändert. In Rio gibt‘s mehr Polizeipräsenz, was die Cariocas, also die Bewohner Rios, allerdings nicht weiter beeindruckt: So werden Kokosnüsse und Caipirinhas bei wunderschöner Livemusik zum Sonnenuntergang vor einem der Strandkiosks getrunken, während hinter den Musikern ein Einsatzwagen der Militärpolizei mit rotblinkenden Alarmleuchten für die Lichtshow sorgt. Die Polizisten hinterm Steuer haben die Maschinengewehre lässig über die Schulter gelegt und halten Plausch mit einigen Taxifahrern. Also alles tranqüilo. Eine größere Veränderung begegnet mir in der BipBip Bar. Die Bar über die ich letztes Jahr im Blog unter Geldwäsche und Weihnachtsmann schrieb. Der Weihnachtsmann in Gestalt von Barbesitzer Alfredinho ist leider Anfang des Jahres verstorben. Er war schon alt, also eher eine Veränderung der Sparte „Lauf der Zeit“. Als ich jetzt zur BipBip-Bar komme, spielen wie immer die Sambamusiker fantastischen Samba, aber auf Alfredinhos Thron sitzt jetzt ein anderer Mann, der nicht vermag, das Loch zu füllen, das Alfredinho hinterlässt. Ich komme, als die Musiker Pause machen, mit einem Opa neben mir am Tisch ins Gespräch. Er erzählt mir von der ganz offensichtlich ziemlich denkwürdigen Beerdigung Alfredinhos. Die ging schon so los, dass seine Freunde mit dem Sarg mit Alfredinhos Leichnam auf dem Weg vom Bestattungsinstitut zu seiner Bar, wo er aufgeBARt werden wollte, im Aufzug stecken blieben. Nachdem sie inklusive Leiche befreit werden konnten und Alfredinho in der BipBip-Bar im offenen Sarg lag gab es ein großes Fest, mit vielen Musikern, Samba, Bossa Nova und die Hälfte der Gäste in Karnevalskostümen. Nun ist die BipBip Bar ja nicht sehr groß, 8 m² oder so, und war demnach schon ziemlich voll mit Alfredinho in seinem Sarg. Führte dazu, dass sich die Besucher des Festes an Alfredinhos Leiche vorbei zu den Kühlschränken quetschen mussten. Nun denn, Alfredinho hätte das sicher großartig gefunden. Als dann genug gefeiert worden war wurde der Sarg in einem großen Karnevalsumzug mit mehreren Samba-Gruppen quer durch Rio zum Friedhof getragen. Haha.. Only in Brasil…

 

 

So. Ab ins Feld, Kamerafallen aufhängen und sich über Stöckchen freuen und alles fertig haben bevor das Filmteam anreist. Dann werden wir gut zu tun haben.

 

PS.: Filme und Fotos werden nachgereicht, das macht das Internet nicht mit...

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