Würde Roland Emmerich meine Reise verfilmen...

Süß. Das war wohl etwas optimistisch. Von wegen „Flug geht“. Die Zustände „Flug geht: gleich…bald… nicht mehr…wohl doch…nie mehr… ohne mich… irgendwann… jetzt doch“ wurden alle in randomisierter und alternierender Folge mehrfach an diesem Tag abgefeiert. Geheult wurde auch. Aber nicht aus Ergriffenheit. Oder naja, wie man’s nimmt- ein Stück weit vielleicht aus Ergriffenheit heute das größte Reisechaos meines Lebens erlebt zu haben. Und ich habe, wie ihr vielleicht wisst, so einige und auch gar nicht so unspektakuläre erlebt.

 

Aber erstmal als kleiner Leserservice und um zukünftigem Rumgerätsel ein für alle Mal ein Schnippchen zu schlagen, hier jetzt schwarz auf weiß die Richtige Platzwahl bei An- und Abflug am Flughafen Santos Dumont: Rio -> São Paulo: Sitz F, São Paulo -> Rio: Sitz A. Ich saß ja A. Aber von Rio nach São Paulo, also auf der falschen Seite.

 

Das Bewundern des Stadtpanoramas hatte an diesem Punkt aber ohnehin schon an Bedeutung verloren, da bereits ziemlich klar war, dass wir den Anschlussflug nach Campo Grande in São Paulo verpassen würden. Möglich gemacht durch einen vollkommen sinnbefreiten Chaosorkan vor dem Gate und anschließend Menschen die mit verlusstig gegangenen Nerven und Drama das Flugzeug wieder verließen, in das man sich ja nun gerade nicht ohne Mühen reingearbeitet hatte (weil sie Angst hatten in São Paulo verloren zu gehen- aus jetziger Sicht kann man ihnen wahrsagerische Fähigkeiten unterstellen). Schließlich noch der spontane Austausch der gesamten Crew, und so startete das Flugzeug in Rio ungefähr zu der Zeit wo auch das Anschlussflugzeug in São Paulo Richtung Campo Grande startete. In São Paulo wurden wir, also die gestrandete Campo Grande Fraktion, dann aus dem Flugzeug quer durch den Flughafen zu einem Serviceschalter getrieben. An dem schrie eine Frau in Uniform man solle ihr folgen und alle gallopierten wieder in die andere Richtung und dann durch verschiedene Stockwerke und Flughafenbereiche vor den Kulissen und Backstage, ich denke ich habe jetzt ALLES gesehen. Ich die ganze Zeit mit meinem bleischweren Kameraequipment im Rucksack. Um uns rum wirbelte das Brasilianische Flughafenchaos, wir aber die Blicke immer stoisch auf den uniformierten Rücken der entschlossen ausschreitenden Flughafen-Frau geheftet, zusammengedrängt wie eine Schafherde. Nur nicht verloren gehen. Was mit uns passieren würde wusste keiner, zu fragen traute sich aber auch keiner, da die Dame ziemlich einschüchternd wirkte. Als wir an den Gepäckbändern vorbeikamen wagte ich eine scheue Frage was mit unseren Koffern ist, die mit einem resoluten: „Werden nach Campo Grande geschickt“ abgekanzelt wurde. Immerhin. Schließlich wurden wir alle aus dem Flughafengebäude raus in die Sonne gescheucht und bevor sich die Augen an das Licht gewöhnen konnten, kommentarlos in einen unbeschrifteten Bus verfrachtet. Hier sitze ich nun. Hoffnung, dass es sich nicht einfach nur um ein ausgeklügeltes Kidnapping-Manöver handelt, gibt mir die Bordkarte, die mir eben ausgehändigt wurde und die ich jetzt in der Hand umklammert halte. Auf der ist mein Name und ein Flug in drei Stunden und ab dem Flughafen jenseits der Stadt angegeben. Es wird allerdings spannend ob wir diesen nächsten Flug überhaupt erwischen, denn wir sind auch nach einer weiteren Stunde noch nicht losgefahren. Vielmehr steigen jetzt ohnehin alle erstmal wieder aus, um in tumultartigen Zuständen zu klären ob die Koffer durchgecheckt sind oder nicht.  Im Bus weht derweil der gute, alte Brasilianische Öffentlicheverkehrsmittel-Eissturm durch die Reihen und auf den Fernsehmonitoren laufen amerikanische Soaps mit merkwürdiger portugiesischer Synchro, die von der Decke durch die Reihen schmettert. Was zu trinken gibt es nicht. Ein Wasser oder vielleicht sogar ein Schnaps wäre nach der Aufregung schön gewesen. Oder ein Glühwein. Beim Langstreckenflug aus Deutschland nach Rio gab’s ja wieder guten Rotwein. Mit meiner Strategie soviel davon zu trinken wie sie mir geben und dann fein acht Stunden durchzuschlafen, habe ich mir wohl eine Reputation erarbeitet, denn als ich vorgestern in Ipanema über den Hippiemarkt schlendere ruft auf einmal jemand: „Ach, die Frau mit dem Rotwein!“. Drei blonde Flauen in Bikinioberteilen winken mir fröhlich entgegen- die Stewardessen vom Flug. Glücklicherweise sind die wohl auch nicht besser, sie haben nämlich PET-Flaschen dabei in denen sie sich für den Marktbesuch Gin-Tonic gemixt haben. Nun denn.

 

Hier im Bus in São Paulo kippt derweil beim dicken Mann vor mir die Stimmung- eigenen, lautstarken Angaben zufolge droht er zu verhungern. Und irgendwie hat er ja recht- es ist mittlerweile 16 Uhr und ich habe gerade mal gefrühstückt. Da noch keine Abreise in Sicht ist, renne ich rasch die Straße runter um herzhafte Teilchen und Bier beim omnipräsenten Straßenhändler zu kaufen. Fühle mich danach weit vorne mit meinen Einkäufen bis klar wird, dass ich mal besser meinen Koffer geholt hätte. Der wird nämlich doch nicht automatisch durchgecheckt wie uns anfangs versichert wurde. Eine Info die nicht groß verkündet wird, sondern eher aus den Handlungen der Mitreisenden gelesen werden muss, deren Nicht-Beachtung aber dazu führen kann, dass man die nächsten drei Monate nackt gehen muss weil der Koffer verschollen ist. Bis ich das geschnallt habe, haben die meisten Reisenden ihre Koffer an den, natürlich, am anderen Ende des Flughafens gelagerten Gepäckbändern abgeholt und der Bus will losfahren. Mit den vier verbleibenden Deppen, die ihren Koffer noch nicht haben renne ich also mal wieder den ganzen Weg zurück, vorbei an sämtlichen vorhandenen Terminals. Vielleicht war es dabei keine gute Idee vor lauter Panik mein gesamtes Handgepäck inklusive meiner Papiere in einem Bus zu lassen, dessen Passagiere auf Abfahrt drängen, weil sonst auch der nächste Flieger auf der anderen Seite der Stadt ohne uns abfliegt. Ungefähr als ich am Ende meiner Kräfte den Koffer in Empfang nehme um nun zum vierten Mal quer durch den Flughafen zu rennen, fange ich aus Verzweiflung an zu weinen. Glücklicherweise steht der Bus noch mit laufendem Motor da. Es fehlen aber noch die Omis die mit mir ihre Koffer noch holen mussten und die nicht so schnell rennen können.

 

Am Bus selbst hat das Ganze In der Zwischenzeit katastrophenfilmartige Züge mit der typischen Rollenverteilung angenommen: Die schicke, rücksichtslose Geschäftsfrau verlangt, alle die noch fehlen einfach zurückzulassen um den Flieger zu bekommen. Der dicke Mann hat sich derweil heldenhaft in die Tür geklemmt um zu verhindern das das passiert. Die Flughafenmitarbeiterin, die vorhin noch so einschüchternd war und die Fehlinformationen gestreut hat, weint. Ich auch, aber als ich sicher sitze, mein vorhin ergattertes Bier öffne und die Omis auch an Bord sind, wird es besser.

 

Statt sich mit seinen Befindlichkeiten auseinander zu setzen, darf man sich an dieser Stelle aber auch eher das Totenhemd überstreifen, so wie der Bus jetzt durch den dichten Verkehr São Paulos rast. Der dicke Mann macht in der Zwischenzeit eine kleine Handy-Video-Reportage in der er die Situation anmoderiert und dann das Kind filmt, das verzweifelt nach Essen schreit. Am anderen Flughafen kommen wir um 17:10 Uhr an. Um 17:50 Uhr geht der Flug und wir haben noch nicht unsere Koffer aufgegeben. Der dicke Mann übernimmt das Kommando, wir rennen wieder eng zusammengedrängt quer durch den neuen Flughafen. Veranstalten in Teamarbeit einen so beeindruckenden Aufstand am Baggage Drop, dass uns eine neue Flughafen-Angestellte unter ihre Fittiche nimmt und mit uns Richtung Security rennt. Dort werden wir durchgetrieben, im gestreckten Gallopp an allen Gates vorbei und rein in den Flieger. Puh. Ich bin nass geschwitzt, absolut am Ende, froh, es geschafft zu haben und zugleich sauer: Nach dem ganzen Angstschweiß hat mein Deo versagt. Damit erfülle ich das Klischee der Deutschen die den Brasilianern zufolge nach Wildschwein riechen. Liegt vermutlich daran, dass die deutschen tatsächlich eine durchschnittlich geringere Duschfrequenz als die Brasilianer haben, was in Deutschland ok ist, denn da ist es normalerweise ja auch kälter, die Touris halten ihre normale Frequenz aber oft in Brasilien bei und riechen dann unangenehm. ICH HABE ABER HEUTE MORGEN NOCH GEDUSCHT! Ich kann überhaupt nix dafür, das wissen die Leute im Flugzeig rechts und links von mir aber nicht, die waren bei dem Drama ja nicht mit dabei. Naja wie auch immer. Jetzt also irgendwann Ankunft in Campo Grande. Oh Mann.

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Kommentare: 3
  • #1

    Ilona (Donnerstag, 27 Juni 2019 01:14)

    Ganz so dramatisch habe ich es nicht erlebt, aber so aehnlich, und das gleich zweimal auf einer Reise. Beim zweitenmal habe ich auch geweint, in einem schaebigen Hotelzimmer in São Paulo, da Rueckflug nach Deutschland verpasst.

  • #2

    Klaus Nachbar (Donnerstag, 27 Juni 2019 02:25)

    Liebe Lydia, ich bedauere Dich und bewundere Dich glichzeitig. Der große Ameisenbär kann das alles gar nicht genug schätzen welche Strapazen Du für ihn auf Dich nimmst.
    Ich wünsche Dir, dass die folgende Zeit weniger strapaziös für Dich wird.

  • #3

    Lucas (Freitag, 28 Juni 2019 13:37)

    Hahahahaha!