**Rio de Janeiro Breaking News** Weihnachtsmann nachweislich in Geldwäsche involviert!

Pah, Rio. So unverschämt schön. Müssen die Entdecker ja große Augen gemacht haben, als sie die Buchten und Felsen und Strände und Fregattvögel überm Küstendschungel sahen. Genau wie bei den Iguaҫu-Wasserfällen: Die Vorstellung sich wochenlang einer Indianer-Legende folgend durch den Regenwald zu schlagen, dann immer lauter das Grollen zu hören das den Fällen ihren Namen verpasst hat, und dann plötzlich vor diesem unfassbaren Naturspektakel zu stehen. Wahnsinn. Wobei Köln ja in diesem Jahr auch einen Sommer abgeliefert hat der sich gewaschen hat. Ist zwar ein bisschen Äpfel mit Birnen vergleichen, aber das soll ja hier keine Lobhudelei für das Gras auf der anderen Seite des Zauns sein.

 

Auf jeden Fall ist Rio ein alter Angeber. Ein bisschen wie seine Bewohner zeigt es gerne was es kann und hat und abends ist es erst zufrieden wenn auf den Felsen vom Arpoador, wo sich alle treffen um den Sonnenuntergang anzuschauen, nach einer wieder mal maßlos übertriebenen Farbexplosion der Applaus aufbrandet. 

Heute habe ich Rios Schönheit dann ganz zu seiner Zufriedenheit ausgiebig bewundert: morgens quer durch die Favela Virdigal auf einen der „Zwei Brüder“ gestiegen. Das ist einer der zwei Berge auf die man vom Strand in Ipanema guckt, und von denen man dann logischerweise auch auf den Strand von Ipanema runter guckt und abgesehen davon aber zusätzlich auf einen ganz schön großen und dekorativen Rest von Rio. Anstrengende Sache das, darum danach erstmal eine sehr amtliche Strandcaipirinha mit Maracuja und diverse verbrannte Käselutscher am Strand verdrückt. Das fühlt sich mit Blick auf den echt hohen Berg auf den man an diesem Tag schon gelaufen ist direkt viel gerechtfertigter an, da kann man dann auch guten Gewissens einfach noch eine weitere Caipirinha bestellen. Mit zwei ordentlichen Caipis intus fällt die Kletterpartie auf die Felsen vom Arpoador zum standesgemäßen Sonnenuntergangbewundern etwas abenteuerlicher aus als sonst, der Applaus nach dem die Sonne weg ist dann aber auch gleich viel frenetischer. 

Bei abklingender Wirkung verlangt der geplante Gang zur Bar „Bip Bip“, in der es nach einem Tipp vom Schwesterherz super sein soll, einem dann so einiges an Überwindung ab. Aber ich ziehe es durch, denn dort gibt’s quasi jeden Abend mehr oder eher weniger organisiert Live Musik unter strengem Regiment von Alfredinho. Das ist ein knuffiger, bärtiger, etwas weihnachtsmannesquer Opa, der auf drei aufeinander gestapelten Plastikstühlen vor seiner Bar thront. Jeder der kommt oder einfach vorbei läuft herzt, küsst und umarmt Alfredinho und dann freut er sich und strahlt stolz in die Runde. Zumindest wenn man kein Parfum aufgetragen hat. Das ist hier nämlich verboten, denn Alfredinho ist dagegen allergisch. Zugehöriges Parfum-Verbotsschild hängt laminiert direkt über seinem Thron. Neben dem Schild, dass „absolut, auch nicht eine Kreditkarte“ für die Bezahlung akzeptiert würde. Links davon der Hinweis, dass die Stille der größte Applaus für die Musiker ist. Irgendwo muss da eine Grundschullehrerin ihre Finger im Spiel haben, so viele Schilder wie hier laminiert wurden. Was die Stille betrifft ist Alfredinho eisern. Wer es wagt sich während der Musik laut zu unterhalten wird sofort zurecht geschuscht. Anstelle von klatschen wird geschnippt. 

Um Alfredinho herum ist seine Kommandozentrale aufgebaut: Zwei Festnetztelefone die ständig leise (!) klingeln, ein Faxgerät, Bürozubehör und ein Wust an mysteriösen Listen die immer wieder interessiert von Passanten und Gästen studiert werden. Hier laufen die Fäden im Viertel zusammen. Ganz klar. Die winzige Bar selbst hat nur einen Tisch und da sitzen die Musiker dran. Heute Bossa Nova Jam Session, das Publikum kann jede Zeile mitsingen. Bier holt man sich selbst, meldet sich beim ersten bei Alfredinho an, der trägt den Namen in eine seiner Strich-Listen ein und reckt dann nur noch den Daumen wenn man mit einem neuem aus der Bar kommt. Ist notiert. So weiß er ganz genau wer in seiner Bar ist, wieviel jeder trinkt und wie derjenige heißt. Sein kleiner Kosmos. Bei ihm mit am Tisch sitzt ein alter Casanova der nicht mehr so gut auf den Beinen ist, es aber meisterlich beherrscht diesen Umstand zu vertuschen: Wenn er mal aufstehen muss, gibt er der nächstbesten Frau einen Kuss auf die Hand und zieht sich währenddessen unauffällig an selbiger hoch. Mega Trick.

 

Schon witzig aus wie vielen Paralleluniversen sich unsere Welt zusammensetzt von denen wir selbst nur einen Bruchteil kennen. Jedes einzelne zusammengesetzt aus vielen Galaxien um die kleinere Sonnensysteme rotieren. Alfredinho ist definitiv Sagittarius A*, also das Massezentrum dieser Bip-Bip-Bar-Galaxie im Paralleluniversum der Copacabana. 

Auch wenn ich nach dem ersten Bier gleich wieder gut in Schwung geraten bin, leider relativ frühe Abreise meinerseits (morgen Flug nach Campo Grande), unter ausgiebigem lamentieren von Alfredinho. Unsere Hochzeit ist für meine Rückkehr nach Rio in drei Monaten angesetzt. Hände und Gesicht noch von Alt-Herrenküssen benetzt, will ich noch rasch eine Flasche Wasser im nächsten Kiosk kaufen. Leider werden dort meine Geldscheine nicht akzeptiert: Das Wechselgeld, das ich von Alfredinho bekommen habe, ist komplett mit Schokolade eingematscht. Was auch immer er damit getrieben hat. So ist das vielleicht, wenn man mit dem Weihnachtsmann Geschäfte macht. Man kommt sich schon doof vor, wenn man Geldscheine mit Duschgel einreibt um Schokolade abzuwaschen. Brasilianische Geldwäsche mal anders…

Angekommen in Campo Grande, in froher Erwartung von einigen bitter nötigen Freundinnentagen mit Carol bevor es endgültig zur Farm geht, ist erstmal mein Koffer verschwunden. Ja super. Die Aussicht, drei Monate in schlechtsitzenden Hosen die hektisch hier im Einkaufszentrum gekauft wurden zu verbringen, versetzt mich ein bisschen in Stress. Während ich am Schalter die Suchanzeige aufgebe und mit meinem Schicksal hadere, wird alles aber sehr bald relativiert: Am Lost-and-Found-Schalter nebenan wurde nämlich eine verlorene Oma abgegeben, die jetzt gerade verzweifelt mit ihrem Sohn telefoniert. Der hat ihr aus Versehen ein Ticket nach Campo Grande anstatt nach Campinas Grande in Paraíba gekauft. 3000 Kilometer Unterschied, wohlgemerkt. „Ich bin hier in Mato Grosso do Sul!“ ruft sie in den Hörer. Das Mädel hinterm Schalter, das gerade meine Suchanzeige notiert raunt mir zu, sie habe gedacht schon Suchanzeigen für alle Dinge die möglicherweise verloren gehen können geschrieben zu haben, aber nein. Eine Oma gab’s bisher noch nicht. Ich würde ja gerne mal das Formular mit der Beschreibung der Fundsache sehen…

 

Da ist mir der verlorene Koffer doch lieber. Taucht auch abends wieder auf, als ich gerade gemütlich mit Carol eine riesige Pizza verdrücke: Es klingelt an der Tür, in der Gegensprechanlage wird die Lieferung des Koffers angekündigt, als ich das Hoftor öffne steht da mein Koffer ganz allein auf dem Gehsteig und sagt „Hi Lydia, ich bin dein Koffer, ich hab dich vermisst, hihi hihihihi…“. Der Liefertyp kommt aus einem Winkel in dem er sich für diesen tollen Scherz versteckt hatte und feiert sich ausgiebig dafür. Man muss sich seine Arbeit halt nur lustig machen…

 

Morgen um vier Uhr abreise zur Farm. Juhuuuu! 

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Kommentare: 1
  • #1

    david kahn (Samstag, 05 August 2017 12:43)

    adorei!