Dass man in Brasilien ist merkt man spätestens, wenn einen hinterm Gate die unverkennbare Kombi aus gewagter Elektroinstallation mit pingelig sauberen Toiletten begrüßt. Erstere kommt in Gestalt einer ohnehin schon scheppen Alarmlampe daher, die dann aber auch noch schief in einem Loch hängt das falsch in die Edelholzimitation aus Sperrholzplatten gesägt wurde. Brazil in a Nut-Shell.
Die Klos haben dann eher was von einer sterilen, stylishen Zahnarztpraxis. Frage ich mich ja immer, wie das bei uns auf Brasilianer wirken muss: Die reisen nach Deutschland in Erwartung des so vielgepriesenen Landes mit hoher Effizienz, wo sowieso alles ordentlicher als in der brasilianischen Bagunҫa ist und dann begegnet ihnen als erstes eine deutsche öffentliche Toilette. Nun ja.
Vermutlich kann da nur noch der Gebrauch eines deutschen Staubsaugers die Erwartungen wieder zurechtrücken. Ich habe mir jedenfalls vor meiner Abreise einen Miele Staubsauger von meinen Nachbarn in Köln geliehen, musste ja meine Wohnung wieder für einen Zwischenmieter herrichten. Bei dem ganzen Staub gedacht viel hilft viel, also den auf volle Möhre gestellt und dann faltete sich das Raum-Zeit-Kontinuum einmal in einen Staubsaugerbeutel in der Erfstraße in Köln ein und erst wieder aus, nachdem ich panisch wieder ausgestellt hatte. Huch! Regler runtergedreht, angeschaltet, eine Plastiktüte auf meinem Bett setzt sich aus ziemlich großer Distanz in Bewegung und wandert lärmend vorne in den wilden Sauger. Wieder ausschalten und die Plastiktüte da wieder rausprukeln. Regler noch weiter runter gedreht, jetzt ist es ein bisschen, als würde man mit einem Hund auf einer Fressmeile spazieren gehen. Alles was irgendwie rumliegt wandert ins Maul und muss ihm mühsam wieder abgerungen werden. Aber gut, heißer Ritt, Waffenschein für Miele Haushaltsgeräte sollte mal angedacht werden.
Irgendwann ist dann aber die Wohnung sauber, die Kisten verpackt, der Koffer gepackt, der 40 Geburtstag meines Cousins in Ostwestfalen gefeiert, die Steuererklärung eingereicht, die 38000 Verabschiedungsveranstaltungen mit vielen lieben Leuten gefeiert, wie jedes Jahr haufenweise Lesebrillen im 1 € Laden für die Leute auf der Farm gekauft, wie jedes Jahr Zigarren für Lauro im Tabakladen am Rudolfplatz (in dem man als weiblicher Kunde eine große Sensation darstellt) gekauft, wie jedes Jahr zum Metzger gefahren um Würste für Lucas zu kaufen. Ach nein. Lucas ist dieses Jahr ja nicht mehr auf Fazenda Barranco Alto. Er wohnt jetzt mit Marina und den Mädchen in der Schweiz, und erstmalig habe ich keine großangelegte Wurstbestellung vorliegen. Die zu erwartenden Veränderungen werfen so vor dem Wurstfachgeschäft in Köln ihre Schatten voraus. Und das wo sich die Metzgersfrau doch immer so freut, wenn sie wieder für Brasilien die Wurst vakuumieren darf. Etwas ratlos lungere ich vor dem Laden herum und kaufe am Ende doch einfach nochmal Wurst. Kommt schon weg- die Wurstfachverkäuferin ist ähnlich erschüttert wie ich, dass Lucas nicht mehr dort sein wird. Immerhin absolvieren wir den traditionellen Kauf seit nun schon 7 Jahren! Als Finale noch Haribo und Schokolade in den Koffer packen, 1,2,3,4,5,6 Kölsch zum Abschied mit meinen liebsten Lieben an der Bierschwemme im Bahnhof trinken, dann Zug, Flugzeug, Brasilien.
Beim Landeanflug in Rio de Janeiro herrscht die übliche Enttäuschung, dass der geliebte Langstreckenflug schon wieder vorbei ist. Ich hab ja nur zwei Filme geguckt und gar kein Skat auf der App gespielt! Mal wieder viel zu fest nach dem ganzen Stress geschlafen. Bei den ganzen winzigen Lichtern der Millionenstadt, die unterm Flugzeug vorbei ziehen, fällt mir der alte Cowboy im Pantanal ein: Als der zum ersten Mal im Flugzeug saß hat er sich über die vielen weißen Mäuse am Boden gewundert... Waren in Wahrheit die weißen Rinder, der bekam nur die Relationen nicht klar. Wären die Menschen da unten nur so groß wie Mäuse, wären die Probleme mit der Zerstörung der Erde vielleicht kleiner. Aber das hält vermutlich auch keiner näheren Betrachtung stand. Vermutlich wäre dann auch die Geburtenrate deutlich höher und die Biomasse am Ende die selbe und somit hätte man den gleichen Salat.
Wie auch immer. Erste Amtshandlung in Rio ist die traditionelle Hühnersuppe im Galetos. Die beste auf der Welt und meine Mutter macht schon eine sensationelle Hühnersuppe. Am Nachbartisch werden lautstark Saufgeschichten rekonstruiert. Man ist sich nicht einig ob das jetzt Karneval war oder nicht.
Am Ende ist Rio halt auch nur Köln…
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Alex (Freitag, 07 Juli 2017 03:52)
Oh, gibt's denn jetzt wieder öfter Blog-Einträge mit tollen Geschichten aus Brasilien?
Und warum wohnt Lucas samt Rest der Familie nun in der Schweiz?